Ein Raum, gefüllt mit kleinen Schätzen. Bilder hängen und lehnen an den Wänden, stehen auf Regalen und Vintage-Möbeln, auf dem Fußboden. Dazwischen Zimmerpflanzen und Material, Pinsel, Farben, Leinwände. Und mitten in diesem wundersamen Ort sitzt Julia Sophia Neundorf, Künstlerin, Bildhauerin und Fotografin.  Julia Sophia Neundorf liebt und lebt das kreative Schaffen. Sie strahlt Ästhetik und Feinsinn aus, beim Gehen, Sprechen, Artikulieren . Ob mit Kreide, Acryl, Kohle, Holz oder Ton, ob beim Illustrieren oder Fotografieren: Die Kunst nutzt sie als Kanal, um sich auszudrücken und in Kontakt mit anderen Menschen zu kommen.  „kreativer Austausch ist mir sehr wichtig“, sagt Julia Sophia Neundorf – ihr Atelier „Reservoir“ in der Erfurter Altstadt bietet seit 2019 den Raum dafür. Sie versteht das „Reservoir“ als Refugium und Anlaufstelle für ein buntes Miteinander von Künstlerinnen und Musikern, für Jung und Alt, Menschen jeglicher Herkunft, alle.  Und trotz der kreativen Vielfalt soll es ein Ort sein, „wo wir das Tempo rausnehmen“, sagt sie. Ein Ort mit Platz zum bewussten Zeit-Verschwenden, Entschleunigen, Beobachten und Sich-Ausprobieren. Hier finden interkulturelle Abende, Vorträge und Lesungen statt. Mal erklingt mesopotamische Musik, mal wird Theater gespielt. Einmal in der Woche lockt das offene Atelier, das vor allem für Kinder und Jugendliche gedacht ist. 

 

Und immer wieder ruft Julia Neundorf in ihrem Atelier neue Projekte ins Leben – wie jüngst unter dem Titel „kreativ nachhal(l)tig“, gefördert von der Erfurter Kulturdirektion. Malerei, Druckwerkstatt, Collagen und Fotografie sollen dabei zum Austausch über Umweltthemen anregen. Im Outdoor-Workshop „LandArt“ werden temporäre Kunstwerke aus Naturmaterialien gefertigt. Und Leinwände und Rahmen werden aus alten Leisten, Holzbalken und nachhaltigen Baumwollstoffen gebaut. Dass Nachhaltigkeit ein großes Anliegen für Julia Sophia Neundorf ist, wird schnell deutlich. Sanft, aber bestimmt spricht sie über ihre Mission, künstlerisch und kreativ Bewusstsein für das Thema zu schaffen – und möglichst viele Menschen damit zu erreichen. „Man muss berühren“, sagt sie. Bei ihr seien es zuerst Bilder schmelzender Gletscher gewesen und das weltweite Artensterben, die in ihr ein Umdenken bewirkt hätten. Das wünsche sie sich auch für das Projekt: „Ich hoffe, dass jeder einzelne Teilnehmer nach den Sessions ein Stück mehr Umweltbewusstsein mitnimmt.“  

 

In ihrer künstlerischen Arbeit setzt die 31-Jährige schon länger auf umweltfreundliches Material. Auch beim Marketing wird auf Wiederverwertung geachtet: Flyer, Postkarten und T-Shirts entstehen an der ateliereigenen Siebdruckmaschine. Als Material dient einseitig bemaltes Bambuspapier aus dem offenen Atelier, das die Kinder dort oftmals zurücklassen. Eine Win-win-Lösung: Die Papiere werden wiederverwendet – und jeder einzelne Flyer erhält so eine künstlerische Note, die ihn zum Unikat macht. Auch bei der Gestaltung und dem Ausbau ihres Ateliers liegt der Fokus von Julia Sophia Neundorf auf Upcycling: Eine neue Regalwand mauerte sie jüngst selbst mit Mörtel und alten Ziegelsteinen, die sie auf einer Onlineplattform zum Verschenken fand.  

Heute fühlt sich Julia Sophia Neundorf in ihrem Erfurter Atelier „angekommen“. Dabei sei all das – das Atelier, die Workshops und Projekte – nie ihre Vision gewesen: „Irgendwie kam das von allein.“ Schon früh habe sie bemerkt, dass sie Menschen mit ihrer Kunst beeinflussen und berühren könne. Zuerst die Familie, später auch Jurys von Schulwettbewerben. Ihre Mission: „Leuten Freude schenken.“  Nach der Schule lässt sich Julia Sophia Neundorf zur Bildhauerin ausbilden; 2012 beginnt sie ein Studium der Kunst und Literaturwissenschaft in Erfurt. Bei Praktika in Kindergärten und Kunstschulen kommt sie ihrer Leidenschaft näher: Kindern und Jugendlichen Raum zu geben, sich kreativ zu entfalten. „Kinder bringen eine lockere Stimmung mit sich, sie vergleichen sich noch nicht und malen einfach drauflos“, sagt Julia Sophia Neundorf. Auf die Idee, in Erfurt ein Atelier zu eröffnen, wird die Künstlerin von Freunden gebracht. Und damit ihr Mut geweckt, dort einen kreativen Ort entstehen zu lassen.

 

Heute ist das „Reservoir“ Julia Sophia Neundorfs Arbeitsort. Hier malt und illustriert sie, formt Skulpturen, entwickelt Fotos und schreibt. Hier und auf ihrer Webseite verkauft sie ihre Kunst. Ein Skizzenbuch oder Tablet hat sie immer dabei, um Ideen festzuhalten. Was sich daraus entwickelt, kann man zum Beispiel an den hohen Wänden des Ateliers bewundern: Große, oft surreal anmutende Ölgemälde, lebendig und farbenfroh. „Die Welt trägt nun mal viele Farben“, sagt die Künstlerin – „die muss man auch zeigen“.  Mit ihrer Kunst teilt Julia Sophia Neundorf ihr Inneres mit der Welt und drückt aus, was sie bewegt. Zurzeit arbeite sie an einem Ölgemälde der legendären Umwelt- und Tierschutzaktivistin Jane Goodall. Immer wieder entdeckt man auch die Künstlerin selbst auf ihren Werken. Bunt und wild, sensibel und sinnlich.  

In ihrer aktuellen Ausstellung „Paradise“ verarbeitet Julia Sophia Neundorf ein Erlebnis aus ihrer Kindheit: eine Nahtoderfahrung nach einem schweren Trampolinunfall. Viel Licht habe sie damals gesehen – und eine Frau, die ihre Hand hielt. An ein „unglaublich warmes Gefühl“ erinnert sie sich dabei, verbunden mit der Gewissheit: „Alles ist gut, egal, was passiert“.  Einen Zugang zu diesem Erlebnis, das sich schwer in Worte fassen lasse, habe sie erst kürzlich gefunden. Nun gibt sie ihm durch den Kanal der Kunst Raum. „das Paradise“, sagt Julia Sophia Neundorf – „ist kein Ort, es ist vielmehr ein Zustand von innerem Frieden.“